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TV-Kritik/Review: "Gänsehaut um Mitternacht": Netflix-Horrorserie geht unter die Haut
(07.10.2022)
Mitternacht scheint es dem Horrorfan Mike Flanagan angetan zu haben! Auf seine Netflix-Miniserie
Hart hat sie gekämpft, um in der Highschool hervorragend abzuschneiden und die Tür zu einer glänzenden Zukunft aufzustoßen. All der Ehrgeiz und der Einsatz scheinen aber vergebens, als bei Ilonka (Iman Benson) im Jahr 1994, noch vor ihrem Wechsel an das College, Schilddrüsenkrebs diagnostiziert wird. Selbst nach einer Chemotherapie ist kein Licht am Ende des Tunnels in Sicht. Wann genau sie sterben wird, können die Ärzte nicht sagen. Dass es bald passiert, ist jedoch sicher. Im Internet stößt sie im Zuge dieser bitteren Erkenntnis auf das Brightcliffe-Hospiz, eine Einrichtung, die sich auf todkranke Jugendliche spezialisiert hat und aus der, so berichtet es ein alter Zeitungsartikel, mindestens eine Patientin wie durch ein Wunder wieder gesund entlassen werden konnte. Schon während ihrer Recherche wird Ilonka von merkwürdigen Visionen verfolgt, denen sie auch nach der Ankunft in der einsam gelegenen, von Dr. Stanton (Heather Langenkamp) geleiteten Institution nicht entkommt.
Das alte, verwinkelte Gebäude, in dem über die Jahrzehnte ganz verschiedene Menschen und Gruppen wohnten, verströmt eine seltsame Faszination und beherbergt, darauf deutet schon ein am Ende der ersten Folge durch die Gänge huschender Schatten hin, so manches Geheimnis. An eben diesem Ort, den Flanagan als Serienschöpfer und Regisseur der Auftaktepisode in ein altmodisch-schummriges Licht taucht, ohne den Spukhauscharakter zu sehr zu forcieren, lernt Ilonka einige Leidensgenossen kennen, die einem streng gehüteten Club angehören. Jedes Mal um Mitternacht schleichen die jungen Patienten verbotenerweise aus ihren Zimmern und treffen sich in der Bibliothek, um sich gegenseitig unheimliche Geschichten zu erzählen. On top verbindet die Mitglieder der Vereinigung ein besonderer Pakt: Wer als Erstes stirbt, soll den anderen ein Zeichen aus dem Jenseits schicken. Wäre ja toll, zu wissen, was einen dort erwartet! Ilonka wird in die Clique aufgenommen und beginnt parallel, in der Vergangenheit von Brightcliffe zu wühlen.
Flanagans Fähigkeit, seine Filme und Serien mit der gebotenen Ruhe in einem präzise beschriebenen Handlungsraum zu verorten und seinen Charakteren ausreichend Luft zum Atmen zu geben, kommt auch in "Gänsehaut um Mitternacht" eindrucksvoll zum Vorschein. Nicht nur Ilonkas Zweifel, Ängste und Sehnsüchte arbeitet der Showrunner zusammen mit seiner kreativen Partnerin Leah Fong heraus. Auch den anderen Figuren gibt er Zeit und Raum zur Entfaltung. Wichtig ist dies vor allem deshalb, weil wir es hier mit einem im Fernsehen- und Streaming-Bereich keineswegs alltäglichen Setting zu tun haben. Junge Menschen kommen an einem Ort zusammen, der für sie die letzte Station in ihrem Leben sein wird, und gehen, obwohl in vielen Augenblicken eine ordentliche Portion Galgenhumor aufblitzt, ganz unterschiedlich mit ihren Schicksalen um. Anja (Ruth Codd), Ilonkas Zimmergenossin, zum Beispiel schaut meistens mürrisch drein, gibt sich kratzbürstig und greift jeden an, der sich an irgendeinen Strohhalm klammert. Zum Glück wird sie aber nicht auf die Rolle des toughen Girls reduziert, sondern darf immer mal wieder ihre Unsicherheit und ihre Menschlichkeit zeigen.
Mehr über die Protagonisten erfahren wir ferner in den von ihnen selbst erdachten Geschichten, die sie während der Mitternachtsrunde zum Besten geben. Manche Eigenschaften, Wünsche und reale Begebenheiten transportieren die Teenager in ihre Schilderungen hinüber, denen überhaupt mehrere interessante Kniffe anhaften. So tauchen in den visualisierten Erzählungen manchmal dieselben Schauspieler, nur halt mit anderen Figurennamen, auf, die auch in der Haupthandlung zu sehen sind. Der visuelle Stil der einzelnen Gruselstorys unterscheidet sich zum Teil erheblich. Und jede Mär bedient sich, so sieht es aus, einer anderen Horror-/Spannungsspielart. Ilonkas Bericht ist dem Mystery-Bereich zuzuordnen. Kevin (Igby Rigney) serviert seinen Zuhörern eine Serienkillerplot, während Natsuki (Aya Furukawa) eine Jump-Scare-Parade vom Stapel lässt. Letztere irritiert mit ihren billigen Buh-Effekten ungemein, entpuppt sich allerdings als ironischer Kommentar der Serienmacher auf die Tendenzen im aktuellen Mainstream-Schauerkino, wo aufdringliche Schocks einer tief in die Glieder kriechenden Gänsehautatmosphäre leider häufig vorgezogen werden.
Gänzlich freisprechen kann man Flanagan und Co derweil nicht von den eher plumpen Schrecktaktiken, die sie mit Natsukis Geschichte durch den Kakao ziehen. Gerade der zentrale Erzählstrang greift ebenfalls auf ähnliche Mittel zurück. Besonders in Ilonkas Visionen und Albträumen tauchen regelmäßig mit einem lauten Tusch inszenierte Spukgestalten auf. Viel wirkungsvoller ist es da schon, wenn sich, wie am Ende der zweiten Folge, plötzlich der Gang, durch den die Krebspatientin läuft, in seiner Einrichtung verändert und das Bild auf einmal in Form krisseligen, alten Filmmaterials "erstrahlt". Ein ganzes Stück gruseliger als die klassischen Schockmomente sind ohnehin die Storys der Jugendlichen, wobei Kevins in kränklich grünes Licht getauchte Serienmörderstory in den ersten drei gesichteten Episoden klar hervorsticht. Unbehagen stellt sich nicht nur wegen der Kaltblütigkeit und der Willkür des jungen Täters ein, sondern auch, weil ihn Kevin-Darsteller Igby Rigney verkörpert. Was soll uns das sagen? Unterdrückt Kevin womöglich destruktive Impulse? Versteckt er sich, genauso wie der von ihm erfundene Killer, hinter der Fassade des liebenswerten Durchschnittstypen? Und muss man dann nicht um Ilonka Angst haben, die sich für ihn zu interessieren scheint, zumal ihre Darstellerin Iman Benson in Kevins Geschichte als neue Bekanntschaft des Mörders auftaucht?
Was hingeschrieben unglaublich kompliziert klingt, erzeugt beim Betrachten ein anhaltendes Gefühl der Verunsicherung und lässt auf eine interessante Verzahnung der Ebenen hoffen. Nach etwas weniger als einem Drittel der Gesamtlaufzeit muss man indes auch Folgendes konstatieren: Dafür dass "Gänsehaut um Mitternacht" von Teenagern handelt, die schwer krank sind und nicht mehr lange zu leben haben, halten sich ihre körperlichen Beschwerden in Grenzen. Noch federn Flanagan und Fong ihre Serie in diesem Punkt ab, gehen, anders als auf der emotionalen Schiene, nicht dahin, wo es wirklich wehtut.
Der Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt zehn Folgen der Serie "Gänsehaut um Mitternacht".
Die erste Staffel von "Gänsehaut um Mitternacht" ist ab dem 7. Oktober bei Netflix abrufbar.
Leserkommentare
Zuckerkorn schrieb am 08.10.2022, 08.50 Uhr:
Mike Flanagan ist noch einer der wenigen Regisseure der mich im Bereich Horror konstant überzeugt. Midnight Mass fand ich ganz stark, hier habe ich etwas Bedenken bzgl. der überwiegend Jugendlichen die den Hauptcast spielen.Fernsehschauer schrieb am 07.10.2022, 14.47 Uhr:
Der Trailer sieht so generisch langweilig 0815 aus. Und von den Produzenten von "Spuk im Hill House" Alles klar - reine Zeitverschwendung also diese Serie hier da man sich anscheinend wieder an der Zuschauerverarschung mit irreführenden Clickbait Titeln bedient...
Ich kriege nur Gänsehaut bei dieser Zeitverschwendung von Serie...
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