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TV-Kritik/Review: "Iris - Die Wahrheit": Leiche im Wald, Geist vor dem Haus
(09.02.2024)
Zu den prägendsten Ermittlerinnen der jüngeren Fernsehgeschichte zählt ohne Zweifel Saga Norén, die autistische (oder zumindest autistisch wirkende) Kommissarin aus
Am Anfang steht das Trauma: In wenigen, verwischten Bildern stellt Regisseurin Linnéa Roxeheim das Unheil voran, das Sofia Helins Figur fortan begleiten wird. Ein Mann wird angeschossen, fällt um, eine Frau bricht in Panik aus, stürzt zu ihm hin. Der Mann, offenbar ihr Partner, stirbt. Dann schon sitzt die Frau im Zug, mit einer Urne auf dem Schoß. Die Frau - das sehen wir daran, dass Helin sie spielt - wird die Protagonistin dieser Miniserie sein: Iris Broman, eine Polizistin, die im Anschluss an die erwähnte Tragödie ihren Dienst in der schwedischen Hauptstadt Stockholm quittiert, um gut 600 Kilometer weiter südlich, in der Grafschaft Skåne, neu anzufangen und nach Möglichkeit auch wieder zu sich selbst zu kommen. Sie wohnt dort zunächst im schmuck an der südschwedischen Küste liegenden Strandbungalow ihrer in Paris lebenden Halbschwester - die Urne kommt auf den Wohnzimmertisch, der Inhalt der Gefriertruhe wird verspeist, unfreiwillig auch die Hasch-Schokokekse, die dort noch lagerten.
Der Mann, der am Anfang der Serie sein Leben lässt, ist nicht aus dem Spiel und nicht aus der Serie - als Geist stapft er weiter durch Iris' Leben. Christian, so sein Name, sitzt ihr im Zug gegenüber, steht mit Journalisten vor dem Haus, wandert über Dünen. Ihre Trauerarbeit, zeigt dies, hat Iris noch längst nicht bewältigt, und das auch nicht ohne Grund: Die Mörder sind nach wie vor auf freiem Fuß. Warum sie Christian töteten, scheint Iris zu ahnen, vielleicht sogar zu wissen. Die Zuschauer aber dürfen es erst später erfahren.
Mit gängiger Salamitaktik im Aufdecken der komplexen Hintergründe geht Showrunnerin Ahlgren vor, wenn sie mit ihren versierten Co-Autoren (der norwegische Regisseur Martin Asphaug und der schwedische Schriftsteller Alex Haridi) daran geht, die Traumata nicht nur ihrer Protagonistin, sondern auch diverser Nebenfiguren aufzudecken: Zum ungelösten Fall rund um Iris' toten Partner kommt denn auch schnell noch ein ungelöster Kriminalfall aus den Nullerjahren hinzu, der wieder aufgerollt wird, als zwei Teenager im Wald die Reste einer Leiche finden. Der jugendliche Benjamin Serén war in besagtem Wald seinerzeit spurlos verschwunden: Ist er es? Die Forensik macht sich an die Arbeit.
Iris' Bungalow steht in der Nähe von Ystad, also fährt sie nun täglich mit dem Zug eine Stunde westwärts nach Malmö, wo sie nach ihrem Wegzug aus Stockholm nun praktischerweise einer Abteilung für "Cold Cases" vorsteht: Fälle, die vor Jahren als ungelöst weggeheftet wurden und nun wieder hervorgekramt werden. Das erlaubt es den Autor*innen der Serie, die beiden erwähnten Fälle sozusagen simultan abzuhalten. Das läuft ungefähr folgendermaßen ab: Iris' privates Drama, das bisweilen die Züge eines Rachethrillers erhalten wird, läuft anfangs nur im Hintergrund mit, ehe es später ins Zentrum rückt. Der eigentliche Kriminalfall um die Leiche im Wald treibt dagegen zu Beginn den Plot voran und kommt irgendwann an einen Punkt, an dem der Fall möglicherweise gar keiner mehr ist bzw. ein ganz anderer wird - womit die Handlung trotzdem weitergehen kann.Zu Iris' Team in der Cold-Case-Abteilung gehören der freundliche Mittfünfziger Jens (Håkan Bengtsson,
Nach klassischem Krimimuster wird nun ersten Hinweisen nachgegangen, werden die Verdächtigen sondiert. Am Ende der ersten Folge montiert die Serie sich einmal quer durchs frisch eingeführte Personentableau, um möglichst alle Beteiligten suspekt erscheinen zu lassen. Da sind also die Eltern des vermissten Benjamin, die längst getrennt leben: Vater Fredrik (Joakim Sällquist,
Es ist die übliche Mixtur von Figuren aus der High bis Low Society, die Ahlgren & Co. hier auffahren. Am Ende werden diese Menschen alle mehr oder weniger stark mit einem der erwähnten Fälle zu tun haben, wenn auch nicht unbedingt mit jenem, mit dem sie anfänglich zusammenzuhängen scheinen. Das Auseinanderfädeln der Personenkonstellation wirkt zuweilen etwas schematisch, gelingt aber insgesamt elegant. Das Spiel mit falschen Verdächtigungen, seltsamen Geständnissen und mit den plötzlichen Eingebungen einer genialen Ermittlerin ist bekannt, aber wirkungsvoll.
Und dennoch steht der Krimi-Aspekt fast im Hintergrund des Sechsteilers. Denn Iris kämpft vor allem mit ihren eigenen Dämonen - schließlich wird sie von Sofia Helin verkörpert! So kommt also Halbschwester Kattis (Hedda Stiernstedt,
Dann wird einer der mutmaßlichen Mörder in Stockholm gefasst: Iris platzt auf eine Weise in die Ermittlungen ihres Ex-Kollegen Adam (Pablo Leiva Wenger,
Davon abgesehen aber rundet sich "Iris - Die Wahrheit" im Finale, in dem manch Handlungsstrang etwas zügig entwirrt wird, zur soliden Crime-Geschichte, zur überwiegend gut gespielten Schwedenkrimi-Routine, die mit bewährten Schauwerten zwischen Großstadt-Tristesse und südschwedischer Strandidylle aufwarten kann. Über die Norm des in diesem Genre Bewährten vermögen die sechs Episoden freilich nie hinauszuweisen: Alles bleibt bedenkenlos konsumierbare Krimikost, mit etwas Nordic-Noir-Flair, das sich aber nie so weit hinuntertraut wie die düstersten
Sofia Helin allerdings wird hier ein weiteres Mal eine ausreichend große Bühne bereitet. Der schwedische Star mit dem dekorativ vernarbten Gesicht hat hier mehrfach die Gelegenheit, ihr bewährt grimmiges Konfrontationscharisma zur Geltung zu bringen: Die Liste der Einstellungen, in denen sie waidwund in die unbestimmte Ferne oder entrückt auf den Boden blickt, ist wieder einmal lang. Andererseits fächert sie auch die anderen Seiten der Titelfigur auf - wenn sie sich etwa zaghaft der von ihr entfremdeten Kattis öffnet und mit ihr am Strand entlangreitet oder gefangene Mäuse grillt; oder wenn sie einem verzweifelten Verdächtigen fast zärtlich seine Optionen auseinandersetzt. Wer Helin ohnehin verehrt, wird auch diese Serie lieben. Und wer sie noch nicht kannte, wird hier fraglos auf sie aufmerksam.
Bleibt noch die Frage: Könnte es einen Nachschlag geben für Iris und das Cold-Case-Team in Malmö? "Die Wahrheit" ist zwar eindeutig als Miniserie konzipiert, der Fall bzw. die Fälle sind am Ende abgeschlossen, doch Hinweise auf Weitererzählbarkeit werden durchaus gestreut: Sind da zum Beispiel Ansätze einer Annäherung zwischen Iris und Jens zu erkennen? Wie könnte sich die Gegensatzpaarung Iris und Kerstin durch neue Fälle streiten? Cold-Case-Krimis erfreuen sich ja generell einer gewissen Beliebheit - von Jussi Adler-Olsens Mørck-Geschichten aus dem "Sonderdezernat Q" über
Dieser Text basiert auf der Sichtung aller sechs Episoden von "Iris - Die Wahrheit".
In der ZDFmediathek stehen ab dem 10. Februar alle sechs Folgen von "Iris - Die Wahrheit" auf Abruf zur Verfügung. Die lineare Erstausstrahlung im ZDF erfolgt ab dem 25. Februar sonntags ab 22.15 Uhr in Doppelfolgen.
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