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TV-Kritik/Review: "It's a Sin": Mitreißendes Meisterwerk von "Queer as Folk"-Schöpfer Russell T Davies in der ZDFmediathek
(07.07.2023/ursprünglich erschienen am 29.06.2021)
Dieses Review erschien ursprünglich begleitend zur britischen Premiere von "It's a Sin" vor zwei Jahren. Am 7. Juli war die Miniserie erstmals im deutschen Free-TV zu sehen, ab 22.00 Uhr als Binge-Event bei ZDFneo. Seitdem ist sie auch in der ZDFmediathek abrufbar.
Russell T Davies ist zum Ausgangspunkt zurückgekehrt. Für den britischen Sender Channel 4 schuf er einst eine Fernsehserie, die revolutionär war in ihrer Offenheit, Ehrlichkeit und in ihrer humorvollen Art, mit der sie schwules Leben und Sexualität erstmals einem größeren Mainstream-Publikum näher brachte. Eine Liebeserklärung an die Tage und die Nächte von Manchester.
Laut eigenen Angaben basiert die Miniserie mit Years-and-Years-Frontmann Olly Alexander in der Hauptrolle genauso stark auf Recherche, wie auf eigenen Erfahrungen des Autors in den 1980er Jahren - einer Zeit, die man bislang vermutlich erlebt haben musste, um die Tragweite der Grausamkeit zu verstehen, die sich schleichend und tödlich über die Gay Community, aber auch deren engste Freunde und Angehörige legte.
"It's a Sin" lässt all dies auf brillante und erschreckende Weise wieder lebendig werden. Die Miniserie funktioniert aber nicht nur als Mahnmal. Vielmehr begeistert sie mit unglaublich sympathischen Hauptfiguren und Darstellern sowie fantastischem Timing in Buch und Inszenierung.
Die fünf Episoden behandeln die Zeitspanne von 1981 bis 1991 und darin das Schicksal einer Londoner Freundesgruppe, die in einem leicht heruntergekommenen, aber dennoch fantastischen Apartment ohne Telefon zusammenlebt. Nach einem ersten, durchaus intimen Kennenlernen im wilden Nachtleben ziehen der angehende Schauspieler Ritchie (Alexander), seine beste Freundin Jill (Lydia West) der vor seiner Familie geflüchtete Roscoe (Omari Douglas), der schüchterne angehende Herrenschneider "Gladys" (Callum Scott Howells) und der wählerische Ash (Nathaniel Curtis) in die herzlich chaotische WG.
Vor allem für Gladys, bürgerlicher Name Colin Morris-Jones, ist die noch junge Freundschaft mit seinen Mitbewohnern, aber auch seine gerade begonnene Ausbildung zum Herrenschneider ein absoluter Meilenstein. Erstmals lernt er mit seinem Vorgesetzten Henry Coltrane (
Was gleich zu Beginn ins Auge sticht, bei Davies als Autor aber auch nicht unbedingt überrascht, ist die, im positiven Sinne, rücksichtslose Art und Weise, wie "It's a Sin" auf sein Hauptthema zustürmt und es geschickt von allen Seiten und mit sehr unterschiedlichen Hauptfiguren beleuchtet. AIDS von seiner finstersten Seite zu zeigen steht in krassem Gegensatz zur Originalserie "Queer As Folk", wo man oft das Gefühl hatte, die Macher wollten sehr bewusst die dunkle Zeit der späten Achtziger und frühen Neunziger Jahre hinter sich lassen, genau wie die popkulturell verankerten Bilder von
Auch in "It's a Sin" genießen Richie, Roscoe und Ash in der ersten Folge nach allen Regeln der Kunst ihre neugewonnene Freiheit - und wer kann es ihnen verdenken? Ein wohl überlegtes und gut vorbereitetes Outing am Familientisch? In jener Zeit kaum vorstellbar, schon gar nicht bei Roscoe, dessen aus Nigeria stammende Verwandtschaft gleich mit dem großen Kollektiv-Gebet um sein Seelenheil beginnt. Einzige Option: überhastete Flucht. Wortwörtlich. Eine Strategie, die der lebensfrohe Roscoe immer wieder anwenden wird in Szenen, die von Omari Douglas mit so viel Energie und genau der richtigen Portion Humor gefüllt werden.
Neil Patrick Harris in der ersten Episode als erfahrenes Vorbild für den absolut liebenswerten Colin einzusetzen, ist ein extrem geschickter Schachzug von Russell T Davies und Regisseur Peter Hoar (
Und gerade ihn so zu sehen, isoliert in dem schäbigsten Großraumzimmer einer Klinik, das Gesicht ausgemergelt und der Körper gezeichnet von Läsionen, das alleine zeigt am Ende der ersten Folge bereits, wie ernst die Lage ist - und was auf die noch unwissenden Freunde zukommen wird. Auch wir als Zuschauer wissen ab diesen Punkt, für unsere ins Herz geschlossenen Hauptfiguren gibt es kein Sicherheit, kein Happy End. Wir können froh sein, wenn manche von ihnen das vor ihnen das kommende Jahrzehnt überleben.
Was beim Anschauen von "It's a Sin" im Jahr 2021 wirklich ins Auge sticht, ist die Art und Weise, wie die AIDS-Epidemie damals in der Öffentlichkeit thematisiert wurde - oder besser gesagt, jahrelang überhaupt nicht thematisiert wurde. Sie steht in krassem Gegensatz zur heutigen Nachrichtenflut rund um die Corona-Pandemie. Jill, wunderbar verkörpert von "Years and Years"-Veteranin Lydia West, nimmt die Bedrohung schneller ernst als ihre schwulen Freunde. Ritchie kämpft sich mit vermeintlicher Bauernschläue, Abgebrühtheit und Arroganz durch sein recht hedonistisches Leben, das er sich von nichts und niemandem vermiesen lassen will. Pop-Sensation Olly Alexander ist die perfekte Besetzung für das dickköpfige Energiebündel.
Underdessen kümmert sich Jill um den ersten sterbenden Bekannten, obwohl sie selbst wahnsinnige Angst hat. Kann sie sich nur durch seine Gegenwart anstecken, durch das Trinken aus der gleichen Tasse? Händeringend sucht sie nach Lesematerial über die Krankheit, über die nur Halbwissen und Gerüchte im Umlauf sind - und die scheinbar nur Homosexuelle befällt, also was kümmert es den Rest der Gesellschaft?
"It's a Sin" ist dennoch keine ausschließliche Geschichte über Tod und Verzweiflung. Im Gegenteil, die Serie strahlt nur so von zutiefst empfundener Liebe und Aufopferung. Dies wird nicht nur durch Jills Tatendrang deutlich, sondern auch dadurch, wie die Freunde um Ritchie zusammenrücken. Sie beginnen, sich zu engagieren und stellen sich schließlich auch einem AIDS-Test, sobald er denn für die breite Bevölkerung verfügbar ist. Das Ergebnis? Kommt in sechs Wochen. "It's a Sin" bringt den Zuschauer in die gleiche Lage, in der sich auch Jill befindet: Man liebt die bunte Welt der Hauptfiguren, die sich lebensfroh durchs ihren Alltag boxen und auch in den kleinen Erfolgen die Schönheit sehen. Je mehr man sie lebt, desto mehr ist das eigene Herz mit jeder Folge stärker in Gefahr.
Im Gespräch mit Bekannten ist mir in den letzten Tagen öfters die Argumentation begegnet, "It's a Sin" sei zwar toll gemacht, aber es sei ja schon schwere Kost. Es stimmt, es ist nicht leicht als Zuschauer zu sehen, wie Charaktere, die man innerhalb kürzester Zeit vollkommen ins Herz geschlossen hat, nach und nach auf unvorstellbar grausame Art und Weise zu Grunde gehen. Aber wie schwer muss es erst für die Betroffenen in den Achtzigern auf der ganzen Welt gewesen sein, mitzuerleben, wie der eigene Freundeskreis dezimiert wird und dass man selbst praktisch nichts dagegen tun kann? Außer vielleicht gegen das Schweigen einer Öffentlichkeit anzukämpfen, bei der Mitgefühl für Homosexuelle nicht zwangsläufig weit oben auf der Tagesordnung stand. Oder, wie im Fall von Roscoe, die Gunst eines einflussreichen Parlamentsabgeordneten für sich zu gewinnen - hinreißend verkörpert von dem legendären Stephen Fry.
Russell T Davies und Peter Hoar gelingt das Kunststück, den Zuschauer trotz alledem nicht zerstört zurückzulassen. "It's a Sin" ist so pointiert geschrieben, beweist derart grandioses Timing und auch so viel Humor, dass man einerseits emotional komplett involviert ist, als erfahrener Seriengucker aber auch immer wieder staunt, wie sie verdammt nochmal diesen Spagat hinbekommen haben! Ein bildlich gesprochen brennender Scheiterhaufen wechselt mühelos zu Laura Branigans Disco-Hymne "Gloria!" - und der Übergang ist fließend. Es gerät der Serie absolut zum Vorteil, dass nicht allzu sehr in den modischen und musikalischen Vorzügen der damaligen Zeit gebadet wird. Stattdessen werden zahlreiche popkulturelle Momente mit unglaublicher Präzision eingesetzt, seien es Songs, Verweise auf Stars oder gar alte Fernsehausschnitte.
Persönlich hätte ich es vermutlich noch schöner gefunden, die Macher hätten sich entschlossen, "It's a Sin" mit körnigem Filmmaterial zu drehen anstatt digital. Das hätte die Authentizität der damaligen Zeit, die hier ohnehin bereits weitgehend gegeben ist, noch zusätzlich verstärkt. Aber das ist letztendlich eine recht kleine Beschwerde im Vergleich zum mitreißenden Gesamtbild.
"It's A Sin" ist zweifellos eine Guck-Empfehlung für alle die sich noch nie umfassend mit der Geschichte der Gay Community, mit AIDS oder den Schattenseiten der vermeintlich stets retro-wundervollen Achtziger Jahre befasst haben. Doch die Qualität der Serie geht weit darüber hinaus, gibt sich nie damit zufrieden. Sie unterhält, lässt den Zuschauer immer wieder erschüttert zurück und gibt dennoch Halt und Hoffnung. Ohne Zweifel eines der besten Fernsehevents der letzten Jahre - ein Meisterwerk in der ohnehin bereits hochkarätigen Karriere des Russell T Davies.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie "It's a Sin".
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