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TV-Kritik/Review: "Saint X": Mord unter Palmen
(06.06.2023)
Beißend und schonungslos arbeitet sich Brandon Cronenberg, Sohn des legendären Body-Horror-Spezialisten David Cronenberg, in seinem dritten Spielfilm
Thematisch gibt es aber einige Überschneidungen zwischen Cronenbergs irrem Trip und der acht Folgen umfassenden Adaption des gefeierten Romandebüts von Alexis Schaitkin. Rassismus und das Gefälle zwischen den Klassen spielen auch in der Krimi-, Drama-, und Coming-of-Age-Elemente verknüpfenden Streaming-Produktion eine prominente Rolle. Ärgerlich nur, dass Showrunnerin Leila Gerstein (
Kurz vor Ende der entspannten Auszeit unter Palmen verschwindet Alison spurlos. Und nur wenig später taucht ihre im Wasser treibende Leiche auf. Clive und Edwin, mit denen sie zuletzt gesehen wurde, geraten sofort unter Verdacht. In einer brachial hingebogen anmutenden Wendung deklariert der örtliche Polizeichef (Kevin Mambo) den Tod auf politischen Druck hin jedoch als Unfall - trotz Vergewaltigungs- und Mordindizien. Ein Schock für Alisons Familie. Glück für Clive und Edwin, die damit wieder frei sind.
Viele Jahre später besteigt die inzwischen selbst erwachsene Claire, die sich nun Emily (Alycia Debnam-Carey) nennt, in New York ein Taxi, das - so klein ist die Welt - von einem sichtlich verbitterten Clive gelenkt wird. Alte Wunden brechen dadurch wieder komplett auf. Nagende Fragen lassen sich nicht mehr abschütteln. Und plötzlich stellt Emily dem früheren Hotelmitarbeiter nach in der Hoffnung, endlich Antworten zu erhalten. Was ist in jener verhängnisvollen Nacht geschehen? Ihrem Lebensgefährten Josh (Pico Alexander) und ihrer Therapeutin (Constance Zaytoun) erzählt sie fürs Erste nichts von ihrer neuen Obsession, weiht aber immerhin ihre Kollegin Sunita (Kosha Patel) ein, die Emilys Annäherungsversuche an Clive teilweise begleitet - was man halt so macht als gute Freundin...
Genau wie die vielgelobte, weil unerwartete Ebenen preisgebende Buchvorlage nimmt die Serienadaption soziale Themen und Ungerechtigkeiten in den Blick. Können Privilegierte auf einer Insel wie Saint X - gedreht wurde in der Dominikanischen Republik - guten Gewissens in einem luxuriösen Hotelkomplex Urlaub machen, sich von zu Überfreundlichkeit verdonnerten Angestellten umsorgen lassen, während außerhalb dieses goldenen Käfigs Armut und Kriminalität weit verbreitet sind? Wie stark wird in Vorurteilen gedacht? Wie leicht gehen einem platte Sätze über vermeintliche kulturelle Eigenheiten von den Lippen? Und wie gut kann man sich selbst belügen, wie ernst meint man es, wenn man reflektierte Ansichten demonstrativ vor sich herträgt?
"Saint X" hält der weißen Wohlstandsgesellschaft den Spiegel vor, nicht nur in den beiläufigen, rassistisch gefärbten Äußerungen Bills. Auch Alison, die an einer Stelle betont, anders sein zu wollen, schwankt zwischen spöttischer Kritik an der Ignoranz ihrer Eltern und einer Blindheit für die eigene Heuchelei. Natürlich will sie den Urlaub auf dem idyllischen Eiland in vollen Zügen genießen, gibt sich den Annehmlichkeiten des Resorts hin und testet verschiedene potenzielle Partner für knisternde Urlaubsromanzen aus. Ab und an mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln, scheint ihr schlechtes Gewissen gut zu beruhigen.
Alison ist eine widersprüchliche Figur - und könnte gerade deshalb ungemein spannend sein. Nicht zuletzt mit Blick auf Emily alias Claire, die als unsichere Siebenjährige mit großer Bewunderung zu ihrer selbstbewussten Schwester aufblickt und im Erwachsenenalter herausfinden will, ob sie die Tote überhaupt richtig kannte. Alisons Ambivalenz wird allerdings dadurch abgeschwächt, dass sie ganz explizit auf die Blendkraft ihrer schönen Fassade hinweist. "Ich bin nicht das Goldmädchen, für das mich alle halten", betont sie wiederholt, damit jeder Zuschauer begreift, wie vielschichtig sie eigentlich ist. Auf Subtilität versteht sich "Saint X" nur selten!
Ein bisschen zu einfach machen es sich Schöpferin Leila Gerstein und ihr Team auch im Fall von Emily. Ungelenke Expositionsdialoge zeichnen das Bild einer labilen jungen Frau, die noch vor zwei Jahren einen dramatischen Zusammenbruch erlitten hat. Alycia Debnam-Carey bemüht sich, die Obsession der kleinen Schwester herauszuarbeiten. Komplett unter die Haut geht ihre emotionale Reise in den ersten drei Episoden, die dieser Kritik zugrunde liegen, aber noch nicht. Was weniger mit der darstellerischen Leistung, sondern vor allem mit der unausgereiften Erzählstruktur zu tun hat.
Ähnlich wie der Roman springt die Serie permanent zwischen verschiedenen Zeitebenen und Figurenperspektiven hin und her. Die Streaming-Version wirkt in ihrem Wechselspiel jedoch chaotisch, mitunter willkürlich. Wie stark der Mordfall das Leben vieler Personen beeinflusst, wird fraglos deutlich. Das Schicksal einiger Betroffenen reißen die Einstiegsfolgen allerdings bloß an. Alisons und Claires Eltern beispielweise sind in der Gegenwart kurz zu sehen, tauchen bis zum Ende des dritten Kapitels dann aber nur noch in den Urlaubsrückblenden auf. Viel Beachtung schenkt "Saint X" indes Clive, dessen Kindheit und private Probleme in Flashbacks beleuchtet werden. Hinzu kommt das Hier und Jetzt, wo er Emily alias Claire als gebrochener, in sich gekehrter Mann begegnet. Edwin, sein Freund aus Schulzeiten, hingegen fällt eher in die Kategorie Knallcharge. Vom Drehbuch als hemdsärmeliger Schürzenjäger und krimineller Tunichtgut beschrieben, performt Jayden Elijah den klischeehaften Part mit anstrengendem Übereifer. Skizzenhaft bleiben überdies viele der anderen etwas herausgehobenen Hotelgäste, von denen manche eine Art Motiv für den Mord an Alison zugewiesen bekommen.
"Abgerundet" wird das kaum fesselnde Bild von einer wenig aufregenden Optik. Die Urlaubssequenzen vor dem Verbrechen sind sommerlich-klar, werden mehrfach von Luftaufnahmen des Indigo-Bay-Resorts eingeleitet, die mit generischem Karibik-Sound unterlegt sind. Passagen aus der Zeit nach Alisons Verschwinden und dem Auffinden ihrer Leiche sind verwaschen-grau, untermauern sehr plakativ die umgeschlagene Stimmung. Einen Beige-Ton haben wiederum die Einblicke in Clives und Edwins schulische Vergangenheit - auch das eine nicht sehr originelle Wahl. Ärgerlich sind der uninspirierte Stil und der inhaltliche Schlingerkurs vor allem deshalb, weil die überraschend facettenreiche Romanvorlage eindeutig mehr zu bieten hat.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt acht Folgen der Miniserie "Saint X".
Die Serie "Saint X" ist ab dem 7. Juni auf Disney+ verfügbar.
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