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TV-Kritik/Review: "The Bear": Stresstest im Sandwichladen
(09.08.2022)
Kücheninferno hautnah: Das Fleisch brät, die Soßen köcheln, irgendwo fällt gerade was aus dem Regal. Stromausfall, Ofen aus, Kunden drängeln, das Finanzamt motzt, Köche und Tellerwäscher quetschen sich an den Herden vorbei, und der Großhändler liefert mal wieder nicht das, was er sollte. Stress pur: So geht es in vielen kleineren und größeren Restaurantküchen zu, und in desorganisierten wie jener, um die es in
Zunächst ein Gebrauchs- und Sicherheitshinweis: Bei "The Bear" ist auch auf Zuschauerseite Durchhalten vonnöten. Die erste Episode besteht praktisch nur aus Gebrüll und Gedrängel und Menschen, die sich gegenseitig niederträchtige Dinge an den Kopf werfen. Der Stresslevel, den Hauptautor und Co-Regisseur Christopher Storer hier etabliert, kann es in Sachen Überforderung mit dem berüchtigten Adam-Sandler-Juwelenhändlerdrama
Nervt das nicht? Oh doch, unbedingt! Aber dranbleiben lohnt sich - und wie! Spätestens ab der zweiten Episode kommt die Serie immer öfter auch zur Ruhe, und obwohl es die acht Folgen (Gesamtlaufzeit: vier Stunden) natürlich gar nicht zulassen, jede Figur aus der Sandwichcafé-Küche detailliert zu beleuchten, sorgen die herausragenden Leistungen der Hauptdarsteller dafür, dass man beim Zuschauen sehr schnell in der Story ankommt und Anteil nimmt am Schicksal der Figuren.
Der, der dem zu bändigenden metaphorischen Bären des Serientitels gleich zu Anfang im Traum begegnet, das ist "Carmy", mit vollem Namen Carmen Berzatto, ein noch halbwegs junger, aber erfahrener Sternekoch, der es in renommierten Küchen weltweit und zuletzt in New York zu Ruhm gebracht hat. Jeremy Allen White, vor allem bekannt als Lip aus
Bis zum Schluss der Staffel weiß man das nie so ganz genau; eine Mischung aus Schuldgefühlen und nachgetragenem Stolz scheint dafür ausschlaggebend gewesen zu sein. Michael (in Flashbacks gespielt von Jon Bernthal,
Im "The Original Beef of Chicagoland", so heißt der heruntergekommene, für die Belegschaft viel zu enge Laden, stößt Michael auf ein Team, das ihn nicht willkommen heißt: Manager Richie (genial enervierend: Ebon Moss-Bachrach aus
Carmy begegnet der Sturheit und dem Starrsinn der Belegschaft mit frischem Wind: Er heuert die talentierte und bestens ausgebildete Sydney als Sous-Chef an, die fortan jede Menge Mühe hat, so etwas wie ein französisches Brigade-Prinzip in den Küchenalltag zu integrieren, dabei Zuständigkeiten neu zu verteilen und die Effizienz zu steigern.
Wenn es eine Schauspielleistung gibt, die aus dem hohen Niveau der Serie noch einmal herausragt, dann ist es die von Ayo Edebiri. Man kennt sie zwar als Schauspielerin (zuletzt etwa im Netflix-Film
In den acht Episoden, die überwiegend in den Räumlichkeiten des "Original Beef" angesiedelt sind, werden darüber hinaus alle möglichen Facetten des dortigen Arbeitsalltags beleuchtet, von den ständigen technischen Problemen, die immer wieder das Faktotum "Fak" beheben muss (vom kanadischen Celebrity-Koch und TV-Moderator Matty Matheson gespielt), über den Patissier Marcus (Lionel Boyce vom Hip-Hop-Kollektiv Odd Future), der allmählich Lust an der Spitzenkonditorei bekommt und darüber seine Pflichten vernachlässigt, bis hin zu einem mit Valiumpillen aus dem Ruder laufenden Cateringauftrag bei einem Kindergeburtstag - "The Bear" versteht sich als Dramaserie, die immer wieder auch Comedy-Injektionen bereithält. Aber es geht eben auch um die finanziellen Kalamitäten, in die der Laden gerät, wenn etwa das Ordnungsamt vorbeischaut, eine Riesenmenge an Steuern nachgezahlt werden muss oder der mafiös wirkende Onkel Jimmy (Parade-Gastrolle für Oliver Platt,
Das Chaos verdichtet sich Szene um Szene, die Probleme türmen sich auf, und nebenher versucht Carmy noch die familiären Dinge zu regeln - etwa im Verhältnis zu seiner Schwester Sugar (Abby Elliott,
Erst über diesen Umweg kommt es am Ende zu einer fast märchenhaften Wendung zum Guten, die auf den ersten Blick ziemlich konstruiert wirkt, auf den zweiten Blick aber das perfekte Set-Up darstellt für die bereits georderte zweite Staffel. Diese Wendung kommt fast überraschend, nachdem Storer (der bislang als Produzent der Sitcom
Die Ruhe, die dann in der letzten Folge vorherrscht, wenn Jeremy Allen White eingangs einen bewegenden, mehrminütigen Monolog hält, diese Ruhe steht dem inszenatorischen Furor der vorangegangenen Folge diametral entgegen; beide Episoden direkt hintereinander anzuschauen ist eine tatsächlich körperliche Erfahrung.
Was letztlich aber für die gesamte Staffel gilt. Gewiss ist dieses Porträt der Küchenarbeit in der Gastronomie als nie endender Stresstest, als Auslaufgebiet toxischer Persönlichkeiten und vorgestrig wirkender Hierarchien nicht frei von Klischees, aber alle, die schon mal vor, hinter oder neben den Kulissen einer Gastronomieküche tätig waren, werden das, was man da sieht, nicht komplett von der Hand weisen können. Auch lassen sich manche Entwicklungen im Plot leicht vorhersehen - etwa, dass sich die zunächst so abweisende und unzugängliche Mannschaft irgendwann den Methoden von Carmy und Sydney zu öffnen beginnt und Carmy natürlich auch höchstpersönlich lernen muss, den auf ihm lastenden Druck in der Hierarchie nicht nach unten weiterzugeben. Dennoch sind die sich daraus ergebenden Figurenkonflikte, etwa zwischen Carmy und Richie oder Carmy und Sydney, immer fesselnd. Die Serie erweist sich sehr rasch als echtes Powerhouse in der derzeitigen Serienlandschaft. "The Bear" ist ein hochenergetisches und brillant gespieltes Drama - und einer der fesselndsten Neustarts in diesem Serienjahr.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der gesamten ersten Staffel von "The Bear".
Die Auftaktstaffel von "The Bear" wurde im Juni unter dem Label FX on Hulu beim US-Streamingdienst veröffentlicht. Einen bestätigten Termin oder Anbieter für die Deutschlandpremiere gibt es noch nicht - aber als FX-Productions-Serie im Vertrieb von Disney Platform Distribution scheint eine Veröffentlichung auf Disney+ gewiss.
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